Am 3. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, gilt es auf Barrieren aufmerksam zu machen, die durch die Gesellschaft geschaffen wurden und daran zu arbeiten, ebenjene abzubauen. Gemeinsam mit Phönix e.V. und dem Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund (BBS) haben wir uns deshalb aufgemacht, die Regensburger Altstadt aus der Perspektive eines Bewohnenden mit körperlicher Einschränkung zu erkunden.
Welche Hindernisse erschweren die Mobilität? Wo sind die Gegebenheiten schon gut ausgestaltet? Wir haben uns als Nicht-Beeinträchtigte etwa eine Stunde lang in die Lage einer Rollstuhlfahrerin, eines Blinden oder Sehbehinderten versetzt, um am eigenen Leib zu erfahren, was es bedeutet, sich so durch eine historische Altstadt zu bewegen. Bereits am Startpunkt Haiplatz lauert das erste Problem, der gesamte Bereich ist mit Pflastersteinen bedeckt.
„Im Rollstuhl werden schon kleine Steigungen zu Kraftanstrengungen. In Verbindung mit dem Pflaster werden manche fast unüberwindlich, wenn sich die kleinen Vorderräder auch noch verhaken und die großen Räder durchdrehen, weil das Profil auf Pflastersteinen nicht greift. Mit flachen Steinen belegte Wege über Plätze wären eine echt Hilfe.“
Oliver Groth, Sprecher des Regensburger Stadtverbands von BÜNDNIS 90 / Die Grünen
Eine Station weiter, im Thon-Dittmer-Palais mit Kulturamt und Stadtbücherei, fehlen die Orientierungshilfen für Menschen mit Beeinträchtigungen beim Sehen. Ein Beispiel sind hierbei Treppengeländer, die schon vor der letzten Stufe aufhören und einen deshalb leicht „ins Leere“ treten lassen. „Es ist sehr anstrengend, sich wirklich auch auf andere Sinne zu verlassen. […] Was für mich hier auffällig war, ist, dass viele Übergänge noch nicht so funktionieren wie sie funktionieren müssten und ich bin die Treppe auch nur hoch und auch wieder sicher runtergekommen, weil es Menschen gab, die mich unterstützt haben“, berichtet Stadträtin und grünen Vorstandsmitglied Theresa Eberlein.
Auf der anderen Seite erschweren Türen, die sich nicht von alleine öffnen lassen, den Zugang zum rollstuhlgerechten Aufzug. „Das ist dann natürlich schwierig für Menschen, die allein unterwegs sind“, stellt Fraktionsvorsitzender Stefan Christoph nach seinem Selbstversuch fest. Doch auch im Rest der Innenstadt, wie auf der Strecke durch die Wahlenstraße hin zum Domplatz, erschweren verschiedene Barrieren den Weg zum Ziel. „Als Fremder würde man sich hier mit Sehbehinderung nicht zurecht finden“, so der gebürtige Regensburger und Bezirksgruppenführer des BBS Rudolf Pichlmeier.
Ein gutes Beispiel ist auch die öffentliche Toilette in der Gasse „Vor der Grieb“ direkt hinter dem Haidplatz, dessen Existenz man als sehbehinderter Mensch nur schwerlich erahnen kann. Leitlinien und Markierungen in Form von Matten könnten zur besseren Auffindbarkeit beitragen. Begleitet wurden wir von Menschen, die im Umgang mit städtischen Barrieren mehr als ausreichend Erfahrung aus ihrem Alltag mitbringen. So beispielsweise Wiebke Richter, grüne Stadträtin und Mitarbeiterin bei Phönix e.V., die selbst im Rollstuhl sitzt.
„Es ist von den Voraussetzungen her in einer historischen Stadt nicht so einfach, weil der Denkmalschutz einen sehr hohen Stellenwert hat, zurecht natürlich und es oft nicht vereinbar ist mit Barrierefreiheit. Grundsätzlich hat sich schon viel getan, aber ich sehe trotzdem, dass wir noch ganz, ganz viel Luft nach oben haben.“
Wiebke Richter, Stadträtin und selbst Rollstuhlfahrerin
Denn, nur wenn wir diese Barrieren abbauen, wird allen Menschen der Gesellschaft eine Teilhabe ermöglicht. So gäbe es zum Beispiel die Möglichkeit, einzelne Pflastersteine zu ersetzen oder alle Geschäfte, vor deren Eingang Stufen sind, mit mobilen, relativ günstigen Rampen auszustatten. Im Stadtrat selbst wird noch zu selten über Barrierefreiheit gesprochen. Auch wenn man natürlich nicht einfach die halb Regensburg umbauen kann, an vielen Stellen hilft es einfach schon, daran zu denken und aus zwei möglichen Varianten diejenige auszuwählen, die für Blinde, Geh- und Sehbehinderte eine Erleichterung darstellen würde.
Das Thema Menschen mit Behinderung ist kein Nischenthema. Knapp jede zehnte Person der Gesellschaft in der Bundesrepublik hat eine Schwerbehinderung. In Regensburg ist es etwa jede siebte Person. Menschen mit Behinderung erfahren in jedem Bereich ihres Lebens Benachteiligungen und Diskriminierung: Bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche, beim Thema Gewalt oder auch bei der Freizeitgestaltung und dem öffentlichen Raum. Wenn wir über Teilhabe sprechen, müssen wir bei der Erreichbarkeit der Örtlichkeiten beginnen und können gleich weiter beim Sicherheitskonzept, insbesondere in Zeiten einer Pandemie, machen. Die letzten Monate wurde wieder deutlich, dass wir auf Solidarität setzen müssen, um alle vor Corona zu schützen. An der Stelle nochmal herzlichen Dank an alle Aktiven und Engagierten in dem Bereich.