Auch dieses Jahr findet am 25.11. wieder der Tag gegen Gewalt an Frauen statt. Leider ist dieser Aktionstag immer noch dringend nötig. Im Jahr 2019 wurden laut Bundeskriminalamt 122 Frauen Opfer eines Femizids, im Jahr 2020 ist diese Zahl bereits Ende August überschritten worden. Am 08.10.2020 wurde auch in Regensburg eine Frau , nach aktuellem Kenntnisstand, von ihrem Partner getötet. Im Jahr 2019 wurden mehr als 114.000 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt, Bedrohungen oder Nötigungen durch ihre Partner oder Ex-Partner. Expert*innen befürchten, dass seit Beginn der Corona-Pandemie häusliche Gewalt noch einmal stark zugenommen hat und gleichzeitig unsichtbarer geworden ist. Durch die Kontaktbeschränkungen bekomme das soziale Umfeld der misshandelten Menschen weniger davon mit. Auch steigen aufgrund der Pandemie Existenzängste und damit der emotionale Druck. Dieser könne zu Gewalt führen.
Frauenhäuser sollen Frauen Schutz vor weiteren Übergriffen bieten. Es gibt jedoch viel zu wenig Plätze in Frauenhäusern. Deutschlandweit muss jede zweite Frau abgewiesen werden, weil kein Platz vorhanden ist. In Regensburg ist die Situation besonders dramatisch: Aus dem Jahresbericht des Autonomen Frauenhauses beispielsweise geht hervor, dass 2019 27 Frauen und 36 Kinder zeitweise dort wohnten – 123 Frauen mussten hingegen abgewiesen werden, weil das Haus voll belegt war. Der eigentlich zulässige Aufenhalt im Frauenhaus von drei Monaten wird nahezu immer überschritten. Der angespannte Wohnungsmarkt in Regensburg trägt zu diesem Problem maßgeblich bei: Fast die Hälfte der Frauen wohnte länger als ein halbes Jahr im Frauenhaus. Ein Grund dafür war, dass sie keine eigene Wohnung finden konnten.
Auch wenn die Erweiterung der bestehenden Frauenhausplätze in 2020 von 18 auf 20 ein wichtiger Schritt ist, ist das doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Eine Erhöhung auf mindestens 27 Plätze wäre nötig.
Ein weiteres Problem ist, dass Frauenhäuser noch zu schlecht in der Fläche verteilt sind. Die nächsten Frauenhäuser sind in Burglengenfeld, Nürnberg, Straubing, Landshut, Weiden und Ingolstadt. In Amberg befindet sich ein weiteres im Bau. Die Hürde, in ein Frauenhaus zu gehen, wächst mit der räumlichen Distanz. Das „normale“ Leben mit Arbeit und Schulbesuch der Kinder kann mit zunehmender Entfernung immer schwerer aufrecht erhalten werden. Auch ist es nicht immer möglich, pubertierende Söhne in ein Frauenhaus mitzunehmen. Damit stehen Frauen vor der Entscheidung, entweder bei ihrem Peiniger und damit auch bei den Kindern zu bleiben oder diese zurückzulassen.
Die Probleme und Herausforderungen steigen zudem noch einmal dramatisch, wenn es sich bei den Schutzsuchenden um Frauen mit Behinderung handelt. Diese sind physischer und psychischer Gewalt in besonderem Maße ausgesetzt – laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend etwa zwei- bis dreimal so häufig wie nicht behinderte Frauen. Zugleich sind vorhandene Hilfs- und Beratungsangebote für Frauen mit Behinderung nicht oder nur schlecht zugänglich. Rollstuhlfahrerinnen scheitern immer wieder bereits an räumlichen Barrieren, Frauen mit Pflegebedarf können im Frauenhaus nicht versorgt werden, und Informationen in Gebärdensprache können nicht angeboten werden. Geldmangel erlaubt es den Hilfs- und Beratungsstellen meist nicht, entsprechende Anpassungen vorzunehmen.
Die Regensburger Hilfs- und Beratungsangebote bemühen sich, Hürden abzubauen, und übersetzen die wichtigsten Informationen in Leichte Sprache. Eine rollstuhlgerechte Beratungsstelle und barrierefreie Frauenhausplätze gibt es auch in Regensburg nicht. Weitere spezifische Betroffenengruppen wie trans Frauen, Frauen mit Migrations- und Fluchterfahrung, ältere Frauen sowie wohnungslose Frauen und Black, Indigenous und Women of Color (BIWOCs) sind zusätzlicher struktureller Diskriminierung ausgesetzt. Durch die Vielschichtigkeit und Mehrdimensionalität ihrer Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen kann es betroffenen Frauen noch schwerer fallen, Hilfe zu suchen und Gewalt zu überwinden. Für diese besonders vulnerablen Frauen existiert in Regensburg kein spezifisches Unterstützungsangebot. Entsprechend gilt es, die nötige Sensibilisierung für diese Thematiken zu entwickeln und bestehenden Beratungs- und Hilfsangeboten das nötige Personal und Geld zur Verfügung zu stellen, um eine gute Abdeckung für alle Frauen gewährleisten zu können.
Der Europarat hat mit der Istanbul-Konvention – „Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ – einen Plan erarbeitet, wie Gewalt gegen Frauen verringert werden kann. Einzelne Maßnahmen sehen beispielsweise eine Rechtsberatung, psychologische Betreuung, finanzielle Beratung und Hilfe im Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten – u.a. Frauenhäusern – vor. Fast alle Mitgliedsstaaten haben die Istanbul-Konvention ratifiziert, auch Deutschland. Die Umsetzung jedoch geht nur schleppend voran.
Wir fordern:
- eine schnelle, konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention – deutschlandweit und lokal in Regensburg!
- eine Offensive der Landesregierung, um genügend Frauenhausplätze und genügend barrierefreie Frauenhausplätze in allen bayerischen Regierungsbezirken zu schaffen.
- eine verlässliche und ausreichende Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen sicherzustellen und den Freistaat und Bund dabei in die Pflicht zu nehmen.
- dass die Stadt Regensburg Frauen dabei unterstützt, aus dem Frauenhaus aus- und in eine eigene Wohnung einzuziehen. Dazu gibt es Möglichkeiten über die Stadtbau-GmbH: Die Stadtbau-GmbH soll bei der Vergabe von Wohnungen Frauen vorrangig berücksichtigen, die von Gewalt betroffen sind.
- Frauenmord und Körperverletzung an Frauen müssen strafrechtlich konsequenter verfolgt und als solche transparent gemacht werden.
Gewalt beginnt nicht mit dem Schlag oder einer anderen physischen Gewalttat. Sie beginnt mit Worten. Sie beginnt mit der Akzeptanz von Unsagbarem und dem Schweigen der Mehrheit. Sie beginnt mit der verharmlosenden Darstellung in den Medien. Nur durch das sexistische gesellschaftliche Klima kann es zu Femiziden und Gewalt an Frauen aufgrund ihres Geschlechts kommen. Diesem gesellschaftlichen Klima gilt es, entgegenzuwirken und die Anwendung von Gewalt als solche zu verurteilen.
Damit dies in allen Teilen dieser Gesellschaft Einzug hält und jede Form physischer, psychischer und verbaler Gewalt konsequent verurteilt wird, müssen wir alle tätig werden. Es braucht einen Aktionsplan, zu dem unter anderem folgende Punkte gehören:
Wir fordern:
- frühzeitige und konsequente Aufklärung von Gewalttaten an Frauen.
- Aufklärung im schulischen und außerschulischen Kontext von Sexismus.
- Null-Toleranz-Strategie bei frauenverachtenden Aussagen – auch wenn sie als vermeintlich harmlose Scherze oder Tradition daher kommen.
- ein Ende der Verharmlosung in der Berichterstattung. Femizide sind keine „Familiendramen“ und die Opfer tragen keine Schuld an Gewaltverbrechen!
- den Schutz von Kindern, um eine Weitergabe der Gewalt in die nächste Generation zu verhindern.