§ 218 – Wie geht es weiter?
Medizinische Versorgung für Schwangerschaftsabbrüche in der Oberpfalz
Seit über 150 Jahren gibt es den § 218 im Strafgesetzbuch, der Schwangerschaftsabbruch zur Straftat macht. Die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen wird in der gynäkologischen Fachärzt*innenausbildung nicht gelehrt. Die Folge ist, dass es nur mehr wenige Ärzt*innen gibt, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
So weit, so bekannt. Was bedeutet das konkret für ungewollt Schwangere? Wo finden sie Hilfe? Was steckt hinter der Beratungsregelung? Wie viele Frauen sind betroffen und wie umfangreich sind die Hilfsangebote in der Oberpfalz? Was wird die Regierung unternehmen und welche Wünsche haben wir an die Regierung?
Um diese Fragen zu beantworten und mit dem Publikum in Diskussion zu kommen hat der AK Frauen gemeinsam mit dem AK Gesundheit und Soziales am Dienstag zu einer digitalen Veranstaltung eingeladen. Zu Gast hatten wir Expert*innen von pro familia (einem deutschlandweiten Verbund von staatlich anerkannten Beratungsstellen rund um Familienplanung, Sexualität, Schwangerschaft und Verhütung) – Claudia Alkofer (fachliche Leitung bei pro familia Regensburg) und Thoralf Fricke (Geschäftsführer des pro familia Landesverbandes Bayern) sowie
Saskia Weishaupt (Mitglied der Grünen Bundestagsfraktion und Obfrau im Gesundheitsausschuss). Im Anschluss an den fachlichen Input seitens unserer Gäst*innen gab es ausreichend Raum für Fragen und Diskussion. Gebärdendolmetschung wurde angeboten.
Was nehmen wir aus der Diskussion mit?
Was steckt hinter der Beratungsregelung?
§219 hält fest, dass ungewollt Schwangere, die einen Abbruch ihrer Schwangerschaft erwägen und keine medizinische Notwendigkeit vorweisen können, sich verpflichtend einer Schwangerschaftskonfliktberatung in einer staatlich anerkannten Beratungsstelle (wie etwa pro familia) unterziehen lassen müssen. Wer das nicht macht, kann in Deutschland nicht straffrei abtreiben . Diese Beratung muss „ergebnisoffen“ stattfinden, das heißt sie ist per Gesetz von dem „Bemühen getragen, das Recht auf Leben für das Ungeborene einzuhalten“ – also im Endeffekt, dass ein Schwangerschaftsabbruch nur dann möglich ist, wenn durch das Gebären des Kindes eine derart schwere und außergewöhnliche Belastung erwächst, die die zumutbare Opfergrenze der Frau übersteigt.
Wie steht es um die medizinische Versorgung von ungewollt Schwangeren?
Die Oberpfalz: Lediglich in Regensburg gibt es einen Arzt und eine Ärztin, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen – in der eigenen Praxis, nicht jedoch im Klinikum. Vor allem zu den Ferienzeiten gibt es deshalb schnell Engpässe bei der medizinischen Beratung und Versorgung von ungewollt Schwangeren. Immer wieder müssen Frauen nach Nürnberg oder München verwiesen werden. Auch gilt das Regensburger Angebot nur bis Ende der 10. Schwangerschaftswoche bei operativen Eingriffen und bis Ende der 7. Woche bei der medikamentösen Methode, obwohl die gesetzlichen Regelungen Abbrüche bis Ende der 14. bzw. 9. Woche erlaubt wären.
Durch die gesetzliche Regelung einer verpflichtenden Schwangerschaftskonfliktberatung im Vorfeld einer möglichen Abtreibung, muss grundsätzlich eine Vollzeit-Beratungsstelle auf 40.000 Einwohner*innen gewährleistet werden. Dadurch ist Bayern, und auch die Oberpfalz, gut mit staatlich anerkannten Beratungsoptionen abgedeckt. Schwangere erhalten in der Regel zeitnah Beratungstermine. Jedoch mangelt es im ländlichen Gebiet wiederum an „Pluralität“, das heißt die Möglichkeit, aus kirchlichen, nicht-konfessionellen und staatlichen Beratungsstellen auszuwählen zu können.
Bayern: In den Ballungszentren um Nürnberg und München kann bislang noch von einer relativ guten Versorgung von Frauen mit Abtreibungswunsch gesprochen werden. Mehrere Ärzt*innen unterschiedlichen Alters ermöglichen hier ein breites Versorgungsspektrum aus ambulanten und klinischen Angeboten und mit unterschiedlichen Methoden. Blickt man jedoch in die ländlicheren Gebiete, z.B. nach gesamt Ostbayern, Schwaben und große Teile von Oberbayern ist die Versorgungslage miserabel. Schwangere müssen zum Teil sehr weite Strecken zurücklegen, um an ausgebildete Ärzt*innen zu gelangen. In Zukunft könnte die Lage sich zusätzlich verschärfen, da kaum neue Gynäkolog*innen sich dazu entscheiden, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. 60% der Ärztinnen und Ärzte, die in Bayern derzeit Abtreibungen vornehmen sind über 60 Jahre alt. Dies hat unter anderem zur Folge, dass zunehmend telemedizinische Angebote wahrgenommen werden, so beispielsweise die Videoberatung zu und Durchführung von medikamentösen Schwangerschaftsabbrüchen einer Berliner Praxis, deren Patientinnen aktuell zu 46% aus Bayern kommen.
Sowohl Paragraph 219a als auch letztlich der §218 und §219 aus dem Strafgesetzbuch sind mitverantwortlich dafür, dass es so gut wie keinen Arzt oder Ärztinnen mehr gibt, die sich neu dazu bereit erklären Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.
Thoralf Fricke, Geschäftsführer von pro familia Bayern und
systemischer Paar‑, Familientherapeut und Berater in der Beratungsstelle in Passau
Woran liegt die zum Teil mangelhafte Versorgungslage und wie sieht es für die Zukunft aus?
Die überschaubare Zahl an bayerischen Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, und der fehlende Nachwuchs liegen zu großen Teilen an den gesetzlichen Rahmenbedingungen, durch die junge Mediziner*innen abgeschreckt werden und durch die das erlernen dieser Gesundheitsleistung zunehmend unattraktiv geworden ist. Dies liegt laut unseren Expert*innen zu großen Teilen an der Tatsache, dass diese Gesundheitsleistung im Strafgesetzbuch geregelt wird (§218) und an dem lange Zeit propagierten Verbot, als Mediziner*innen über Schwangerschaftsabbrüche auch nur zu informieren (§219).
Ein weiterer Grund dürfte die fehlende Verankerung von Lehrinhalten zu Methoden von Schwangerschaftsabbrüchen in der (Fach)arztausbildung sein. Gynäkolog*innen können nur „unter der Hand“ voneinander lernen. Dies erfordert nicht nur viel Eigeninitiative seitens der Ärzt*innen, die Weitergabe des Wissens ist zudem nicht offiziell geregelt – es fehlen Mechanismen zur Überprüfung, dass die Eingriffe auf ausreichend gesichertem medizinischem Wissen erfolgen – so kann eine qualitativ hochwertiger Behandlung nicht zufriedenstellend garantiert werden. Außerdem sehen sich Schwangere mit Abtreibungswunsch und die behandelnden Ärzt*innen immer wieder Anfeindungen und Einschüchterungsversuchen von Selbstbestimmungsgegnern ausgesetzt, z.B. direkt vor der eigenen Praxis.
Dass die Versorgungslage in Bayern insgesamt zudem vergleichsweise schlecht ist, liegt mitunter am „bayerischen Sonderweg“, dem Bayerischen Schwangerenhilfenergänzungsgesetz. Dieses besagt, dass im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern im Freistaat sich nur Gynäkolog*innen zu Methoden des Schwangerschaftsabbruches weiterbilden dürfen, nicht aber Allgemeinärzt*innen. Mit Blick auf die knappe Verfügbarkeit von Frauenärzt*innen führt diese Regelung zu einem ebenso knappen Pool aus Ärzt*innen, die sich für die Durchführung entscheiden könnten.
Was muss passieren, damit sich die medizinische Versorgungslage verbessert?
Die Bundesebene: Ein erster Schritt erfolgte bereits, die Streichung des §219a aus dem Strafgesetzbuch, wie bereits im Koalitionsvertragen festgehalten. Über Gesundheitsleistungen muss ausreichend aufgeklärt werden dürfen. Darüber hinaus soll die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung werden. Derzeit werden bereits Gespräche dazu mit der Bundesärztekammer geführt. Die Gehsteigbelästigungen von Schwangeren durch selbst ernannte „Lebensschützer*innen“ sollen in Zukunft strafrechtlich verfolgbar werden, damit sich betroffene Frauen leichter gegen Anfeindungen währen können. Auch hieran wird mit Nachdruck gearbeitet.
Außerdem müssen wir eine intensive Diskussion zur Zukunft des §218 anstoßen. Wir müssen uns fragen: Muss ein Schwangerschaftsabbruch im 21. Jahrhundert im Strafgesetzbuch geregelt werden? Wie könnte eine alternative Regelung aussehen? Braucht es die aktuell geltenden Fristen? Um diese und viele mehr Fragen zu diskutieren wird nun eine Kommission aus Expert*innen aus der Praxis und Abgeordneten gebildet. Das Ziel: Den Status quo neu durchdenken, um in Zukunft Rahmenbedingungen zu schaffen, die ungewollt Schwangeren eine bessere medizinische Versorgung ermöglichen. Das Thema Frauengesundheit muss als gesamtgesellschaftliches Projekt angegangen werden, nur so können wir eine angemessene gesundheitliche Versorgung für Frauen erreichen!
Die Landesebene: Abgeordnete wie etwa Eva Lettenbauer sollten weiterhin Anträge und Anfragen an den bayerischen Landtag stellen, um für eine bessere Versorgungslage und eine damit einhergehende Erneuerung der Gesetzgebung einzutreten. Dabei wünschen sich die Expert*innen, dass sich in Zukunft auch in Bayern Allgmeinärzt*innen in puncto Schwangerschaftsabbrüche ausbilden lassen dürfen.
Die Oberpfalz: Wir müssen ein Umfeld schaffen, in dem sich junge Mediziner*innen bei Interesse zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen aus- und weiterbilden lassen können, ohne Hürden oder Angst vor Anfeindungen. Dazu gehört es, dass wir immer wieder auf die Notwendigkeit neuer dazu geschulter Ärzt*innen aufmerksam zu machen. Zu einer verbesserten Versorgungslage im Bereich der Frauen- und Familienheilkunde tragen darüber hinaus aber auch Einrichtungen wie Hebammenpraxen und Geburtshäuser bei, die Gynäkologen und Kliniken entlasten. Das wäre auch für Regensburg eine lang ersehnte Chance.
„Ich wünsche mir, dass ich in meinem beruflichen Leben noch mitbekomme, dass die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen endlich nicht mehr im Strafgesetzbuch geregelt wird!“
Claudia Alkofer, fachliche Leitung, Sozialpädagogin und systemische Beraterin bei pro familia Regensburg